Ein Tag im Angesicht des Weines

Sa., 9. September 2017, 2. Reisetag / null Tageskilometer / Stellplatz "Weingut Geil"

"Freundefinsteimmerschnellerhosderhoihessewoiimkeller." (Freunde findest du immer schneller, hast du Rheinhessenwein im Keller.)

 

Stellplatz Promobil-App
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... und "in Wirklichkeit": sehr schön im Garten gelegen
... und "in Wirklichkeit": sehr schön im Garten gelegen

Heute Morgen heißt es bei wolkenverhangenem Himmel und ganz und gar nicht spätsommerlichen, da kühlen Temperaturen ausschlafen und ganz gemütlich frühstücken, denn der Tag auf dem Weingut beginnt erst um halb zwölf Uhr. 

Die frischen Brötchen liegen schon verführerisch lecker auf der Mauer neben dem Womo - "bewacht" von einer dicken Hauskatze. Ein kritischer Blick auf die unversehrte Tüte bestätigt jedoch, dass es keine vegetarischen Stubentiger gibt...

Während die erste Tasse Kaffee schon im Stehen vor dem Wohnmobil im Magen verschwindet, kommt der Seniorchef vorbei, um uns zu begrüßen. Auch Herr Geil berichtet von der Notwendigkeit der vorgezogenen Lese.


Es werde Jahr für Jahr wärmer und trockener hier, das Klima habe sich schon durchaus verändert, meint er. Als Kenner der Region und genauer Naturbeobachter ist sich Herr Geil fast sicher, dass es hier heute bestimmt nicht so viel regnen wird - wenn überhaupt...

Trotzdem stellt die Familie den Tagesablauf ein wenig um: anstatt im Weinberg unter freiem Himmel das Mittagessen einzunehmen, wird es hier auf dem Weingut im Kelterhaus angeboten, in der auch heute Abend die Weinverkostung stattfinden wird, sicher ist sicher. Die herrliche Suppe, die uns nach der allgemeinen Begrüßung serviert werden wird, wäre auch viel zu schade gewesen, um mit Regenwasser verdünnt zu werden!


Doch zunächst genießen wir zu viert unser Frühstück - dieses Mal im Womo unserer Freunde, man muss ja mal die Location wechseln und testen - und beobachten den Aufbau der Tische, Bänke und riesigen Sonnen- (heute eher Regen)schirme im großen, gepflegten Garten neben dem Stellplatz durch viele fleißige Helfer. Hier soll heute Nachmittag das Kaffeetrinken stattfinden.


Wir schlendern nach dem Frühstück die paar Meter zum Weingut, das durch eine dicke Mauer und einen Graben vom Garten getrennt ist, den man vom Haus aus nur durch ein Tor in der Mauer und über eine kleine Steinbrücke hinweg erreicht. Vom Garten aus gesehen hat das schon fast "Burg-Charakter".

Bevor es offiziell losgeht, schauen wir uns ein wenig auf dem Gut um und inspizieren schon mal die riesige Tischfläche, die mitten in der Kelterscheune aufgebaut ist und mit etlichen, noch leeren, in Reih und Glied aufgestellten Weinkühlern bestückt ist. Überall entdecken wir Auszeichnungen und Zertifikate der hier produzierten Weine, das müssen wohl edle Tröpfchen sein! Aber die Familie Geil hat ja auch schon sehr viel Erfahrung mit der Kelterei; seit 1736 ist dieses Weingut in Familienbesitz, was der "Stammbaum" an einer Wand auf einem Fassdeckel zeigt.

 

 

Während die versammelte Gästeschar im Hof auf das Mittagessen wartet, lernen wir ein nettes Ehepaar kennen, Thomas und Tanja, das zwar aus Gummersbach kommt, aber Soest sehr gut kennt. So will es der Zufall, dass wir uns nach annähernd dreihundertfünfzig Kilometern Fahrt in der Fremde in einem kleinen Winzerdörfchen mitten in den Weinbergen über Soester Hotels, Backstuben, das alljährlich bei uns im Theodor-Heuss-Park stattfindende Winzerfest und - natürlich - über die Allerheiligenkirmes austauschen. Klein ist die Welt...

 

Wanderung in die Weinberge

 

Gegen halb eins geht es nun mit der Hälfte der Gäste und dem Juniorchef in die angrenzenden Weinberge. Die andere Hälfte - eine Busgesellschaft - wird etwas später mit dem Seniorchef die gleiche Runde in entgegengesetzter Richtung starten.

Ein kurzer Gang durch den Garten, einen Feldweg hinauf und schon sind wir mitten in den Trauben, die natürlich genascht werden müssen.

 

 

Was ist eigentlich "Önologie"?

 

In launigen, interessanten und kurzweiligen Vorträgen an ausgesuchten Stellen in den Weinfeldern weiht uns der Juniorchef Andreas Geil in die Geheimnisse der Weinproduktion ein. Wahrhaftig eine Wissenschaft für sich, die man in einem vielfältig aufgebauten Bachelor- und auch Masterstudiengang - der Önologie -  kennenlernt. So stützt sich das Studium im Wesentlichen auf drei im Grunde sehr unterschiedliche Säulen, die man auch alle beherrschen sollte, will man in diesem Metier erfolgreich sein. 

 

Hier zwischen den Rebstöcken herrscht gerade die naturwissenschaftliche Richtung vor und wir erfahren viel über die immer noch vorkommende Reblaus, über den Pflanzenschutz, die Bodenkunde und Anbautechnik. Dazwischen müssen wir uns natürlich immer mal wieder von der geschmacklichen Qualität der grünen und roten Beeren überzeugen, aus denen irgendwann Grauburgunder, Riesling, Dornfelder und viele andere Weine werden, versteht sich. 

 

Die Vor- und Nachteile hoch- und niederstämmiger Rebstöcke und deren im Schnitt zweijährige Anzucht in den Rebschulen nach Bestellung durch den Winzer werden uns an einem noch ganz jungen Anbaufeld eines "Konkurrenten" erläutert. Konkurrenz bekommt der Winzer aber nicht nur durch andere Weingüter, sondern auch durch Kaninchen, die die Blätter der jungen Rebstöcke abfressen, noch bevor eine einzige Beere daran heranreifen konnte, wenn man die Reben nicht einzäunt oder ummantelt. Auch die optimale Tiefe des Einpflanzens spielt eine entscheidende Rolle bei der erfolgreichen Anzucht der Rebstöcke. Wie gesagt, eine Wissenschaft für sich...

 

"Mit Kanonen auf Spatzen..."

 

Akustisch untermalt werden die Vorträge und der Gang durch die Felder immer wieder von Böllerschüssen. Nicht zu unserer Begrüßung, sondern hier wird buchstäblich "mit Kanonen auf Spatzen geschossen" - und auf andere Vogelarten wie Amseln und Stare, um sie von den jetzt reifen Trauben möglichst fernzuhalten. Auch eine Konkurrenz, die nicht zu unterschätzen ist. 

Die Schreckschussanlagen sind überall in den Weinfeldern zu finden und zu hören, doch nicht immer lassen sich die gefiederten Gesellen davon abhalten: Herr Geil zeigt uns auch Vogelfraßschäden an den Trauben und Beeren, auf denen die Vögel mit ihren feinen, scharfen Krallen landen und schon dadurch eine Menge Schaden durch aufplatzende Membranen anrichten können. In der Folge haben eindringende Pilze und andere Mikroorganismen leichtes Spiel. So sind jedes Jahr im Herbst zur Zeit der Lese die Dörfer unter "Dauerbeschuss", von Sonnenauf- bis -untergang. Nicht immer angenehm, aber die Bewohner hier hören das bestimmt kaum mehr.

Prost!
Prost!

Das Mittagessen zwischen den Reben wurde zwar "gecancelt", dem Wetter geschuldet, doch während unserer Wanderung fällt tatsächlich kein einziger Regentropfen vom Himmel, dafür umso mehr Weintropfen ins stilecht mit "Geil"-Gravur versehene Weinglas. Denn dort, wo das Mittagessen hätte stattfinden sollen, an den Weinfeldern auf den Ruinen des Westhofener Kirchspiels mit grandiosem Weitblick über die Region, bekommen wir nochmals Wein ausgeschenkt. Zum dritten Male heute übrigens: Nach dem Begrüßungswein um halb zwölf Uhr, den wir vier allerdings verpasst haben, gab es zwei Flaschen Wein (zu sechst) zur Suppe und nun schon wieder ein Gläschen. Dabei ist erst Mittag... Die Leber von Winzern kann wohl einiges vertragen...

 

"Geiztriebe" - gar nicht geizig...

 

Schon fast am Ende der Wanderung angelangt, erfahren wir noch, warum an manchen Rebstöcken blaue und grüne Trauben gemeinsam hängen: Die grünen, meist kleineren Früchte sind Ergebnisse sogenannter "Geiztriebe", Nebentriebe, die während der Wachstumszeit entstehen und auch Blätter und Früchte entwickeln können, wenn dies noch früh genug im Jahr erfolgt. Früher entfernte man Geiztriebe, weil man annahm, sie entziehen dem Muttertrieb Nährstoffe, heute weiß man, dass es umgekehrt ist: die Produkte der Geiztriebe - Zucker, Assimilate, Säuren - fließen in den Haupttrieb ein, daher lässt man die Geiztriebe stehen, zumindest beim Wein. Auch nach dem Zurückschneiden der Muttertriebe können sich im Herbst erneut diese Geiztriebe bilden, wenn witterungsbedingt immer noch genug "Saft und Kraft" in den Trieben steckt. Diese werden meist ebenfalls nicht mehr geerntet, da sehr zeitaufwändig, was die Vogelwelt wohl entzücken dürfte. Diese Geiztriebe verholzen dann im darauffolgenden Jahr und können weiterwachsen, wenn der Winzer dies zulässt.

Und so kommen wir von Eindrücken rund um den Weinanbau und den Trauben als solche gesättigt gegen halb vier Uhr wieder auf dem Weingut an.

 

 

Kaffee und Kuchen? - Ja, bitte!

 

Hier erwarten uns der schon im Garten bereitgestellte Kaffee und Kuchen verschiedenster Art, auf großen Backblechen serviert. Da haben wir die Auswahl zwischen Donauwellen, Pflaumenkuchen, Kirsch-Streuselkuchen, Nusskuchen und vielerlei Sorten mehr. Bequem passt die ganze "Truppe" unter die Pavillons und aufgestellten Schirme, die jetzt als Regenabweiser gute Dienste tun, denn nun fängt es an zu tröpfeln. Glück gehabt! Während der Wanderung hatten wir nicht nur keinen Regen, sondern auch durchaus Sonnenschein.

 

Rundgang über das Weingut

 

Nach dieser leckeren süßen Stärkung haben wir noch ein klein wenig Zeit bis zur Führung über das Gut und durch das "Herzstück", den Weinkeller. Wir schlendern abermals über den Hof, bis uns der Juniorchef zur Lagerhallenbesichtigung zusammenruft; die Busgesellschaft befindet sich noch im Weinkeller, also fangen wir mit dem "Ende" der Produktion an: mit der Lagerung und dem Vertrieb des Weines.

 

Hier wird schnell klar: neben dem Verständnis naturwissenschaftlicher Zusammenhänge im Weinanbau läuft ohne betriebswirtschaftliche Kenntnisse und Marketing nichts: diese zweite Säule des Studiums spielt eine sehr große Rolle, denn das Produkt muss ja auch "unter die Leute" gebracht werden. Angefangen von der Etikettierung der Weine über Logistik bis hin zum Vertrieb muss alles passen. Zahlreiche Weinkartons füllen dementsprechend die Hochregale in der Lagerhalle.

 

Um kurz nach fünf Uhr geht's nun in den Weinkeller. Wer hier alte Holzfässer erwartet, wird schnell enttäuscht, die 225 l fassenden kleinen Barriques gibt es zwar auch noch hier auf dem Gut, aber nur vereinzelt. Heute heißt das Mittel der Wahl: Edelstahltanks. Riesig, eckig, ohne Platzverschwendung direkt nebeneinander aufgestellt fassen sie hunderte von Liter des kostbaren Rebensaftes. Praktisch ohne mit Sauerstoff in Berührung zu kommen, behalten die Weine in den Tanks ihre Frische und Fruchtigkeit, während vor allem einige Rotweine in den Eichenfässern lagern, die den Sauerstoff für ihre Reifung benötigen.

 

"Vorsicht Erstickungsgefahr!"

 

Wenn es oben an den Stahltanks aus gebogenen, durchsichtigen kleinen Röhrchen sprudelt, hüpft das Winzerherz vor Freude, denn die Maische in den Tanks arbeitet und gärt: dabei entstehendes Kohlenstoffdioxid sucht sich durch die wassergefüllten Siphons - damit kein Sauerstoff in die Tanks eindringen kann - seinen Weg nach draußen, eben durch Geblubber.

Übertrieben formuliert: Nur durch die gut funktionierende Abluftanlage im Weinkeller entkommen wir dem Erstickungstod durch zu hohen CO2-Gehalt, somit klärt sich auch das am Eingang des Weinkellers angebrachte schwarz-gelbe Warnschild "Vorsicht: Erstickungsgefahr!". Das geruchs- und geschmacksneutrale, farblose und zellgiftige Kohlenstoffdioxid ist schwerer als Luft, sinkt nach unten und die kleineren Lebewesen näher am Boden würde es als Erstes "erwischen": erhöhte Herzfrequenz, Atemnot, Bewusstlosigkeit bis hin zum Tod. Die früher üblicherweise benutzte Kerze, am besten in Bodennähe, die erlischen soll, bevor der Kellermeister die Äuglein schließt, nützt gar nichts, da eine Kerze immer noch brennt, wenn der Mensch schon längst bewusstlos, gar tot ist.

Hier wird die dritte Säule des Winzerstudiums fast schon "überlebenswichtig": Das Wissen um physikalisch-chemische und technische Zusammenhänge.

Spannend, spannend... so danken wir im Geheimen der Abluftanlage ob ihrer guten Arbeit und treten wieder ans Tageslicht.

 

Weinprobe am Abend - und es wird immer lustiger...

 

Der Samstagabend bricht an und damit ein weiterer Höhepunkt des Wochenendes: die Weinprobe im Kelterhaus. So vieles haben wir heute über Rebstöcke, die Traube, Beeren, den Anbau, Lagerung, Gärung und Vermarktung gehört, da muss nun unbedingt das Tasting erfolgen...

 

Als nahrhafte und überaus wohlschmeckende Grundlage bekommen wir zunächst ein tolles, rustikales Abendessen serviert, alles selbst gemacht im Hause Geil, Chapeau! Zwei verschiedene Arten von Leberkäse, dazu Pellkartoffeln, Brot, Krautsalat und verschiedene Dips, Cremes, Käse, alles wunderbar. Das Ganze angeboten draußen auf dem Hof, als Buffetauflage dient die mit Tischdecken abgedeckte Kelterpresse, mit deren Hilfe normalerweise die Trauben auf schonende Weise ihren Saft hergeben müssen.

 

Nun sind die Weinkühler auf dem riesigen Tisch mit insgesamt siebenundzwanzig verschiedenen Weinen jeglicher Couleur und von lieblich über feinherb bis trocken mit Flaschen bestückt und sorgfältig beschriftet. Wunderbar! Mit beiliegenden papiernen Übersichten und gleichzeitigen Bestellzetteln auf den Tischen und entsprechender Anordnung der Weine auf dem zentralen großen Tisch findet man sich einigermaßen zurecht, auch wenn Frau Fernschreiberin zugeben muss, dass aus ihr kein Sommelier werden wird. Die Unterschiede zwischen einer lieblichen Spätlese, einem feinherben Grauburgunder und einem trockenen Dornfelder mögen ja noch angehen, für weitergehende Nuancen wird's schon kniffeliger: den trockenen Weißen vom trockenen Grauen Burgunder zu unterscheiden, der eine vom Bechtheimer Hasensprung, der andere vom Westhofener Kirchspiel, da müssen die Geschmacksknospen schon ganze Arbeit leisten, die von Frau Fernschreiberin zumindest. Die zunehmende "Reife" des Abends und der Stimmung an unserem Sechsertisch tut da sein Übriges...

 

Am späteren Abend kommen dann noch die beiden besonders teuren, da edelsüßen Auslesen der Huxelrebe und der Riesling Beerenauslese auf den Tisch, letztere mit 23,50 € in der kleinen 0,375 l-Flasche (!) ganz sicher kein Wein zum "Eben-mal-wegschlürfen". Eine fast bernsteinfarbene Flüssigkeit, sehr süß, ist da im Glas zu bewundern. Probiert ganz sicher, gekauft ganz sicher nicht. Aber die Geschmäcker (und Geldbeutel) sind ja bekanntermaßen verschieden...

 

Am Ende der Verkostung gegen elf Uhr treffen wir dann doch unsere Entscheidungen und die Kartons mit jeweils sechs Flaschen sind zusammengestellt. Kommissioniert wird aber erst am nächsten Tag. Ist uns natürlich recht, für heute Abend hat unsere Leber genug zu tun...

 

Wir verabschieden uns von Thomas und Tanja, die per komfortablen Shuttle-Service durch Familie Geil wie alle anderen auswärtigen Gäste in ihre jeweils gebuchten Hotels und Pensionen der näheren Umgebung chauffiert und am nächsten Tag zur Sektprobe wieder abgeholt werden, während wir die paar Meter in den Garten wandern und nach einem gelungenen Tag nur Minuten später (wein-)selig in unsere Betten fallen.